10. Tag auf See

Die letzten beiden Tage waren wir auf Raumwindkurs unterwegs, also mit dem Wind und den Wellen von schräg hinten. Die Wellen sind in den vergangenen 24 Stunden immer höher geworden, nun schon fast vier Meter, und das Geschepper hat uns heute absolut keinen Spaß mehr gemacht. „Maverick“ wurde immer wieder brutal auf die Steuerbordseite geworfen, dass es nur so knackste und krachte. Wir hatten manchmal Sorgen, sie bricht uns hier auseinander. Ein komisches Gefühl zu realisieren, dass uns nur 9 Millimeter Plastik vom 5000 Meter tiefen Atlantik trennt … Aber das Schiff ist ja stabil gebaut – und trotz der vielen Wellen, die über Deck gebrochen sind, haben wir nichtmal Wasser in der Bilge. Heute Mittag, nach der Positionsbestimmung (131-Seemeilen-Etmal, yeah!) hatte ich dann die Nase voll von dem Geschepper. „Wir gehen auf Kurs Karibik!“. Glänzende Augen bei Cati. Endlich direkten Kurs. Wir waren ja erstmal auf Kurs Südsüdwest in Richtung der Kapverden gelaufen, um den Passat zu erreichen. Nachdem wir nun seit zwei Tagen mittendrin sind und den 20. Breitengrad erreicht haben, können wir also den nächsten Wegpunkt anliegen, der bei 15 Grad Nord und 35 Grad West liegt. Etwa 650 Seemeilen entfernt. Also raus die Großschot, Vormwind-Kurs. Den Bullen nachspannen, falls die Windsteueranlage eine Halse fahren sollte. Genua einrollen. Dann das Geraffel auf dem Vorschiff klarmachen, den Spibaum an die Genua hängen, mit dem Toppnant vorheißen. Windsteueranlage auf Vorwindkurs einstellen – und die Genua ausrollen! Sofort stabilisiert sich das Schiff und läuft wie auf Schienen nach Westen. Ich bin großer Fan der Butterfly-Segelstellung für Atlantiküberquerungen. Das hat damals gut geklappt und tut es diesmal auch. Wahrscheinlich ist das keine allgemeingültige Lösung für alle Schiffe, der Baum darf nicht zu lang sein, sonst kann die Baumnock in die Wellen tauchen. Aber auf den „Mavericks“ funktioniert das super 🙂 Dann ein Kontrollblick zur Windsteueranlage. Auweia, das war höchste Eisenbahn. Eine Steuerleine ist fast durchgescheuert. „Cati, zieh dir Ölzeug an, ich brauch dich kurz draußen.“ Minuten später steuert Cati das Schiff durch die hohen Wellen, während ich das durchgescheuerte Stück Leine herausschneide und neu anknote. Ich habe die Leinen bewusst etwas länger gelassen, damit ich so die Scheuerstellen an den Blöcken von Zeit zu Zeit versetzen kann. Nach fünf Minuten ist die Arbeit erledigt, das Schiff läuft wieder unter Selbststeuerung. Alles geht von selbst. Kurs 250 Grad. „Wenn wir weiter nach Süden kommen, sollte das Schiff sich selbst in Richtung Karibik einpendeln, also auf 270 Grad gehen“, erkläre ich Cati. Zumindest war das damals so. Ich hoffe, dass das diesmal auch klappt. Das Schiff rollt zwar immer noch von einer auf die andere Seite, aber längst nicht mehr so ruppig. Die Logge springt zeigt ständig über sechs Knoten, manchmal sogar 7. Das GPS rechnet eine Dauer von 12 Tagen für die vor uns liegenden 2000 Seemeilen aus. Wow! Inzwischen hat es sich aber auf 15 eingependelt. Auch nicht so schlecht. Cati steht im Niedergang, sieht die hohen, tiefblauen Wellenberge an uns vorbeirauschen und hat Tränen in den Augen. „Ich, die kleine Cati aus dem Dorf Quetzen, segele hinaus auf den Atlantik!“ Sie kann es nicht fassen. „Das ist alles so schön hier!“. Das finde ich auch. Der Grund, weshalb wir zwei Jahre zusammen in der Halle geschuftet haben, um das Schiff fertig zu bekommen. Und nun sind wir wirklich hier, auf dem großen Ozean. Und können unser Schiff nun 2000 Seemeilen einfach laufen lassen. Wir freuen uns drauf! Johannes