9. Tag auf See

Nicht, dass der Wind gestern noch nicht gereicht hätte … Kaum hatte mich Cati letzte Nacht um Mitternacht bei der Wache abgelöst, legt der Wind nochmal einen Zacken zu. „Maverick“ krängt ordentlich weg und läuft aus dem Kurs, luvt enorm an. Da wir vorher im Nordost-Passat auf Raumwindkurs nach Süden gesegelt sind, legt mit dem Anluven natürlich auch das Schiff einen Zacken zu. Die mitlaufende Welle rattert immer schneller, bildet fast schon ein durchgängiges Surren. „Okay, dann halt das dritte Reff“, murmele ich und klettere aus meiner gerade angewärmten Koje. Cati hat zwei kleine P’s in den Augen, die einen Anfall von Panik markieren. „Keine Sorge, das ist alles normal“, versichere ich ihr – und denke mir „es ist normal, das sowas immer dann passiert, wenn ich in der Koje bin.“ Also Ölzeug an, Rettungsweste, Lifebelt – und raus. Die Nacht ist stockdunkel. Klar, der Mond geht erst in einer Stunde auf. Gutes Timing. Im Licht des Decksscheinwerfers nehme ich Druck aus dem Groß, klinke mich in die Sicherheitsleine und klettere nach vorn, um zu reffen. Die Leinen sind nicht ins Cockpit umgelenkt, denn eigentlich hantiere ich gern auf dem Vordeck mit den Segeln. Das Groß hat natürlich immer noch genug Reibung am Mast und will nicht runterkommen. Jetzt Cati an Deck zu holen, damit sie das Schiff kurz in den Wind dreht, ist auch Quatsch. Also schnappe ich mir ein Tauende, befestige es an dem nächsten Reffhaken, der noch ein Stück über meinem Kopf baumelt und winsche das Segel runter. Geschafft. Die Reffhaken fest, das Unterliek über die blaue Reffleine spannen – und schon segelt „Maverick“ wieder eine ganze Ecke aufrechter, bei gleichem Speed. Zurück ins Cockpit, ein Zeising holen. Damit lasche ich das überschüssige Tuch an den Baum, damit wir zwischen ihm und der Sprayhood besser nach vorn schauen können. Auch die Genau noch schnell zwei Umdrehungen einrollen, das sollte so passen. Als ich wieder unter Deck bin, sitzt Cati vollkommen beruhigt am Kartentisch. Das Schiff segelt ja wieder relativ aufrecht. Aber ich staune, dass ich fast eine halbe Stunde da draußen war. Wie die Zeit vergeht, wenn man sich amüsiert … Das Tagesetmal ist mit 120 Meilen wirklich nicht schlecht. Inzwischen laufen wir sogar durchschnittlich mit sechs Knoten, was ein nächstes Etmal von 140 Meilen ergeben könnte. Mal abwarten. Unser erster Wegpunkt ist nur noch 160 Seemeilen entfernt. Übermorgen früh könnten wir dann also nach rechts abbiegen und vor dem Wind Kurs auf die Karibik nehmen. Das sind dann noch etwa 2200 Seemeilen. Bis jetzt haben wir 770 Meilen im Kielwasser. Angesichts der vielen Flaute eigentlich gar nicht so schlecht. Cati ist nun erstmal geschafft und liegt mit einem Hörbuch im Ohr in der Koje. Ständig muss sie zurückspulen, weil sie wieder mitten im Kapitel eingepennt ist. Mal sehen, ob sie mit den Hörbüchern die ganze Überquerung hinkommt. Mit genug Nachschub hatte sie sich vor der Abfahrt bei ihrer Mutter versorgt. Das Wetter ist im Moment sehr wechselhaft. Heute früh sogar ein bisschen Regen, dann herrlicher Sonnenschein typisch 4000-Meter-tiefblauer Ozean, jetzt wieder bedeckt, mit kurzen Sonnenlücken. Die frischen Sachen gehen langsam zur Neige. Heute das letzte Mal Obstsalat. Das wird mir fehlen. Aber wir haben noch ein paar Fruchtcocktails von Aldi in Deutschland in der Bilge. Mal sehen, ob wir die finden 😉 Johannes