Royal Island – Dschungelvillen im Piratennest

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Liebe Leser,

verlassene und in die natürliche Vegetation übergegangene Häuser hatten es mir schon immer angetan. Vor allem, wenn sie von einer spannenden Geschichte begleitet werden. Im Jahr 2006 habe ich das erste mal die alten Hotels und Hütten auf Normans Cay durchforstet. Letztes Jahr waren es alte Hotels in den Berry Islands. Lange schon steht „Devils Island“ auf meiner Liste. Die alte Gefangeneninsel in Französisch Guyana. Und fast genauso lang das alte, verfallene Anwesen auf Royal Island, ganz im Norden der Bahamas und westlich von Eleuthera und Spanish Wells. Die Ecke hat sowieso eine Menge Geschichte. „Spanish Wells“, also „Spanische Brunnen / Quellen“, weil die spanischen Galeonen die Insel früher als letzten Hafen vor der Rückkehr nach Europa genutzt haben, um hier ihre Wasservorräte aufzufüllen.

Die Insel Royal Island liegt westlich davon, ist fünf Meilen lang und hat einen ganz besonderen Charme, denn in ihrer Mitte befindet sich ein natürlicher Hafen. Ein richtiges Hurrikan-Hole. Die Geschichte ist nicht so ganz komplett überliefert. Aber man ist sich ziemlich sicher, dass der Pirat Henry Every im April 1696 hier geankert hat, nachdem er der Jagt durch die britische Krone entkommen war. Er schickte ein kleines Boot mit ein paar Männern auf die 40 Meilen weite Reise nach Nassau, um den Gouverneur zu bestechen, das Schiff in den Hafen zu lassen. Der Deal gelang durch viele Bestechungsgelder – und Henry Every überlebte als einer der wenigen Piraten seine Karriere.

In alten Seehandbüchern wird spätestens im Jahr 1887  ein „auffälliges“ Haus erwähnt, das aus Stein gebaut ist und den Hafen von einer Anhöhe überblickt. In einem früheren Handbuch, dem „Columbian Navigator„, wird auf der Nachbarinsel Egg Island ein „großes Haus mit Garten und einigen Bäumen“ erwähnt. Aber es ist gut möglich, dass damit schon das alte Herrenhaus auf Royal Island gemeint ist.

Wer das Haus gebaut hat … darüber konnte ich (noch) nicht viel herausfinden. In den 30er Jahren scheint es nach Infos in einem Blogeintrag der Segelyacht „Quest“ dem Arzt W. P. Stewart aus Florida gehört haben, der es für Angeltrips mit Freunden und als Rückzugsort „vor seiner Frau“ genutzt haben soll. Um Stewart ranken sich wiederum andere Geschichten. Nach Aussage der Quest-Crew war der Arzt in den 30er Jahren als Arzt an einem Gerichtsverfahren wegen Vergewaltigung beteiligt, das später die Vorlage für das großartige Buch „Wer die Nachtigall stört …“ von Harper Lee gedient haben soll. Ein Buch, das den Pulitzer Preis gewonnen hat, später Pflichtlektüre in vielen amerikanischen Schulen ist und auch in deutschen Schulen häufig im Englischunterricht gelesen wird und mit Gregory Peck verfilmt worden ist. In dem Buch „My Father and Atticus Finch: A Lawyer’s Fight for Justice in 1930s Alabama“ ist die wahre Geschichte beschrieben, in dem auch der Arzt Dr. Stewart vorkommt.

Seit Ende der 30er Jahre muss das Haus nun auch leer stehen, denn es sind keinerlei Hinweise auf Elektroinstallationen zu finden. Dafür gibt es in fast jedem Raum einen großen Kaminofen. Merkwürdig eigentlich … war es früher in den Bahamas kälter als heute? Selbst im Januar sind wir gut ohne Heizung ausgekommen. Die Leute damals allerdings offenbar nicht ohne Warmwasser, denn durch viele der Kaminöfen laufen Warmwasserleitungen. Dort, wie damals die Glut war. Eine frühe Version des Durchlauferhitzers. Zum Beispiel für die große Badewanne aus Zement, die am Ende des großen Hauptgebäudes die letzten 80 Jahre überlebt hat. Der Zahn der Zeit hat den hölzernen Fußboden zum zweiten Stockwerk und das Dach jedoch zernagt. Alles weg. Dafür ist das Haupthaus heute vollkommen von Bäumen überwachsen und mit Urwald-Lianen behangen. Wie im tiefsten Dschungel. Ein irres Gefühl, sich dort den Weg zu bahnen.

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Der größte Raum des Hauses mit dem gewaltigen Kamin (in dem Fledermäuse wohnen) ist ziemlich aufgeräumt. Offenbar werden dort heute wie damals noch ab und zu Partys gefeiert. Heute allerdings von Seglern, die am Fuße des Berges im Naturhafen den Anker geworfen haben. Auch die Bar scheint noch regelmäßig in Benutzung zu sein. Wer könnte sich auch dem Reiz widersetzen, hier ein Bier zu trinken, bei dem herrlichen Ausblick über die Bucht? Wir werden irgendwann wiederkommen und das nachholen. Und dann auch all die Häuser erkunden, die wir erst später an Bord entdecken, als wir die Video vom Überflug mit der Drone auswerten. Ein weiteres Haus im Osten zum Beispiel. Zweck schwer zu erkennen. Für die Bediensteten? Macht Sinn, denn es steht neben den gewaltigen Zisternen. Und dann ist da noch das Bootshaus. Wir sind vorbeigelaufen, haben es durch die Büsche aber nicht erkannt. Was ein Jammer. Das wäre sicher spannend gewesen.

Wie lange das alte Haus dort noch steht, ist fraglich … Bereits um 2006 ist die Insel verkauft worden, mit den Plänen dort ein Luxus-Ressort und eine Mega-Marina zu bauen. Wie der Nassau Guardian berichtet, wurde der Bau jedoch bis 2013 unterbrochen. Auch heute ist nicht viel Fortschritt zu sehen. Im Westen der Insel stehen einige Bauarbeiter-Baracken und einige verrostete Bagger. Arbeiter konnten wir keine entdecken. Ist besteht also Hoffnung, dass die Ruinen noch einige Jahre erhalten bleiben. Irgendwann wird sich dort, wo einst im Jahr 1823 bereits das „große Haus mit Garten“ befand, nur noch das 17. und 18. Loch eines Golfplatzes stehen. Oder das 19. Loch, wie die Bar eines Golfplatzes oft scherzhaft genannt wird. Warum auch nicht? Bei dem fantastischen Ausblick …

 

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